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08.09.2005 ABSCHLUSSKONZERT DER TEILNEHMER |
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Darmstädter Echo vom 10.09.2005:
Reigen der Charaktere
Musik: Die jüngsten Pianisten sorgen für die größten Überraschungen: Beim Abschlusskonzert des Darmstädter Chopin-Meisterkurses stellen sich bemerkenswerte Talente vor
DARMSTADT. Wenn ein Dreißigjähriger mit Liszts Mephisto-Walzer brilliert – nun ja, dann ist er eben einer von vielen, die dieses pianistische Niveau erlangt haben. Wenn aber der dämonische Tastenzauber von einem Sechzehnjährigen entfacht wird, der noch dazu viel jünger ausschaut, dann ist die Verblüffung um so größer.
Marcin Koziak gelang das am Donnerstagabend in der Darmstädter Orangerie. Eine geschickte Dramaturgie hatte den jungen Polen an das Ende eines langen Klavierabends gesetzt, mit dem der Meisterkurs für Pianisten der Chopin-Gesellschaft zu Ende ging. Und Koziak zeigte sich meisterlich, sowohl auf der technischen Seite dieses artistischen Fingerhakelns als auch im Überblick über die Spannungsverläufe des effektvollen Stückes. Zudem erzielte Koziak eine hohe Trefferquote auf der Klaviatur, soweit man das in Liszts selbstverliebtem Virtuosendonner noch feststellen kann. Der Mephistowalzer zählt zum pianistischen Hochleistungssport.
Sogar Renate Kretschmar-Fischer bewegte ein paarmal den Kopf, als wolle sie die impulsive Kraftentfaltung dieses jungen Musikers noch unterstützen. Meist folgte sie aber unbewegt und konzentriert dem Vortrag ihrer Schüler, was der Detmolder Klavierprofessorin nicht leicht fallen dürfte, denn sie pflegt während des Unterrichts sehr intensiv teilzuhaben am musikalischen Geschehen. Mit dem Ergebnis ihres jüngsten Darmstädter Kurses kann sie hochzufrieden sein. Alle Teilnehmer, bekannte sie am Ende, haben sich während der Woche in Darmstadt hörbar gesteigert.
Zugleich zeigte das Abschlusskonzert Unterschiede der pianistischen Klasse wie der musikalischen Reife, zudem viele Facetten wachsender musikalischer Persönlichkeit. So überraschte die Souveränität, mit der Felipe Valério aus Brasilien, vom Publikum bejubelt, zwei Sätze aus Prokofjews Sonate op. 83 interpretierte – konsequent gestaltet auch im farbenreichen Andante, dem er gleichwohl ein starkes inneres Gerüst einzog, überraschend im spielerisch wirkenden Umgang mit der rhythmischen Raffinesse, die Prokofjew hier vorsieht. Einen hohen Grad der Reife zeigte auch die Japanerin Yoko Takagi, der in zwei Stücken aus den „Années de Pèlerinage“ von Liszt die meditativ entspannten Passagen am schönsten gerieten. Aki Oshi fand in Schumanns Symphonischen Etüden eine gute Balance zwischen zupackender Kraft und geschickter Durchleuchtung des vollgriffigen Klaviersatzes, Kikue Abe wob in zwei der späten, sehr konzentrierten Fantasien op. 116 von Brahms ein dichtes, expressiv aufgeladenes Klanggeflecht.
Die Chinesin Yao Yue hatte es nicht ganz leicht, mit Mozarts c-Moll-Fantasie KV 396 den Abend durch ein Signal der Aufmerksamkeit zu eröffnen. Und Ju-Hee Ohs bemerkenswert disziplinierte Interpretation verbarg nicht, dass Liszts zweite Ballade auch viele Passagen enthält, die blutleere Pianistenmusik sind; freilich entdeckte die Japanerin vor allem im Finale zarte impressionistische Klangfarben. Sayaka Sakurai wirkte in Chopins As-Dur-Ballade bei großer technischer Kompetenz gestalterisch noch ein wenig unentschieden, Rie Shimada hingegen nahm das Publikum für sich ein durch die Sicherheit, mit der sie zwei der „Images“ von Claude Debussy ausleuchtete.
Besonders beeindruckend gelangen Akemi Ueda die „Variations sérieuses“ von Mendelssohn. Von dem sanglich ausgestalteten Thema ausgehend, nahm ihr suggestives Spiel den Hörer gleichsam mit auf eine Reise des sich wandelnden musikalischen Charakters. Vor allem die sinnfällig gemeisterten Übergänge zwischen den einzelnen Teilen bewiesen die Erfahrung der Pianistin. Mal irrlichternd heiter, mal voller Dramatik und mal melancholisch wuchs der Zyklus unter ihren Händen sehr organisch.
Einen der Höhepunkte setzte die jüngste Teilnehmerin. Annika Treutler ist gerade mal fünfzehn, aber sie traut sich etwas. Die einzige deutsche Pianistin im Kurs spielte Chopins schweres b-Moll-Scherzo mit hellwacher Aufmerksamkeit. Ihrem beherzten Zugriff opfert sie auch mal die Treffsicherheit, und man hörte, wie die junge Solistin die Balance sucht zwischen musikantischer Kraftentfaltung auf der einen, weiträumig kalkulierter Gestaltung auf der anderen Seite. Passagen, die sonst wuchtig klingen, gelangen Annika Treutler mit einer sehr eigenen Verbindung von Impulsivität und Eleganz. Das könnte das Markenzeichen werden, wenn die Pianistin später einmal ohne den Verblüffungseffekt auskommen muss, für den die Jugendlichkeit sorgt.
Johannes Breckner 10.9.2005
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