Chopins Abgründe: Endre Hegedus spielt in der Darmstädter Orangerie
DARMSTADT. „Es sind Spiele, aber angsterregende – fiebrige Tänze voller Halluzinationen“, notierte der Klaviervirtuose und Musikschriftsteller Alfred Cortot über Chopins Scherzi. Mit der gewittrigen Atmosphäre des 1839 entstandenen cis-Moll-Scherzos eröffnete der ungarische Pianist Endre Hegedus das letzte der drei Festkonzerte zum fünfunddreißigjährigen Bestehen der Darmstädter Chopingesellschaft in der Orangerie. In wirbelnden Arpeggien und donnernden Oktaven stellte der aus Budapest stammende Künstler besonders die abgründigen Seiten des polnischen Komponisten in den Mittelpunkt seiner Interpretation. Von Anfang an besaß sein technisch versiertes Spiel etwas Getriebenes, eine Vehemenz, die sich im Crescendo der Schlusskoda in ungestümen Klangkaskaden entlud.
Mit originellem Tempogespür beeindruckte Hegedus in den zwei Walzern op.64, hinter deren leichtfüßiger Verspieltheit immer auch ein Stück Melancholie hervorblickte. Auch in der h-Moll Sonate op.58 betonte er die Verwundbarkeit Chopins anmutig-geschmeidiger Melodien, die von einem aggressiv vorwärts preschenden Schlusspresto mit sich fortgerissen wurden. Als subtiler Gestalter erwies er sich in der Sonate h-Moll von Franz Liszt, die dem Pianisten schwindelerregende Virtuosität abverlangte. Dennoch begnügte er sich an keiner Stelle mit äußerlichen Effekten. Bei aller brillanten Extrovertiertheit bewahrte sich seine Interpretation stets den Kern einer tief empfundenen Innerlichkeit.
Einen fulminanten Abschluss fand das Konzert mit Liszts Konzertparaphrase der „Tannhäuser-Ouvertüre“. Für die Ovationen der Zuhörer bedankte sich Hegedus mit Wagners „Lied an den Abendstern“ sowie Bachs Satz „Jesu bleibet meine Freude“ aus der Kantate 147.