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25.10.2006 STREIFLICHTER VOM WETTBEWERB
 

Chopin – brillant und ausdrucksstark

Streiflichter vom VIII. Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb in Darmstadt

Chopin gab den Ton an, als der VIII. Internationale (früher Europäische) Chopin-Klavierwettbewerb in Darmstadt vom 14. bis 25. Oktober 2006 ausgetragen wurde. Seit 1983 hat die Chopin-Gesellschaft Darmstadt diesen Wettbewerb ausgeschrieben. Einige der früheren Preisträger bewiesen ihre Klasse inzwischen auch bei anderen internationalen Wettbewerben und im Konzertleben. Das Programm umfasste neben vielfach aufgeführten Werken Chopins in der 1. und 2. Runde einige weniger bekannte und von Konzertpianisten nicht unbedingt favorisierte Werke, darunter die Etüden C-Dur op. 10/7, As-Dur op. 10/10, f-moll op. 25/2, Ges-Dur op. 25/9 sowie Jugendwerke wie das Nocturne cis-moll op. post. (Pflichtstück), eine Polonaise aus op. 71 und drei Ecossaisen aus op. 72. In der 3. Runde standen die Klavierkonzerte e-moll und f-moll zur Auswahl. Maciej Lukaszczyk, Präsident der Chopin-Gesellschaft, begründete in seinem Grußwort die teilweise ungewöhnliche Repertoireliste mit dem Ziel der Bereicherung der Chopin-Programme im Konzertleben.

Der Wettbewerb verlief dank ausgezeichneter und von langjähriger Erfahrung geprägter Organisation reibungslos und in sehr angenehmer und relativ entspannter Atmosphäre. Die jungen Pianistinnen und Pianisten wie auch die Mitglieder der Jury fühlten sich von den klaviermusikbegeisterten Mitgliedern der Chopin-Gesellschaft Darmstadt bestens betreut – jede Gastfamilie bangte und hoffte mit „ihrer“ Kandidatin bzw. „ihrem“ Kandidaten. 45 Pianistinnen und Pianisten (der weibliche Anteil war überwältigend!) aus 15 Nationen (Europa und Asien) hatten sich angemeldet, doch nur 20 waren zu diesem finanziell gut dotierten musikalischen Wettstreit angetreten. Die Gründe für diese geringe Beteiligung ließen sich letztendlich nicht klären, doch schien überwiegend die Vorbereitungsbelastung durch das Repertoire außerhalb des „Chopin-Mainstreams“ das Fernbleiben mancher Kandidaten verursacht zu haben. Bemerkenswert die Tatsache, dass kein einziger deutscher Kandidat den Weg nach Darmstadt gesucht hatte.

In die Jury eingeladen waren die Professoren Kevin Kenner (USA), der Gewinner des Internationalen Warschauer Chopin-Klavierwettbewerbs von 1990, Leonid Sintsev (Russland), Salvatore Spanó (Italien), Sontraud Speidel (Deutschland) und Naoyuki Taneda (Japan) mit Maciej Lukaszczyk als Präsident.

Im souverän gespielten Eröffnungskonzert in der Orangerie Darmstadt stellte Kevin Kenner Werke von Chopin zwischen Kompositionen von Mozart und Paderewski, den polnischen Komponisten, Komponisten und Staatsmann, um stilistische Einflüsse aufzuzeigen.

Bei den Vorspielen der Kandidaten, die alle im Konzertsaal der „Akademie für Tonkunst“ stattfanden, wurde den Hörern wieder einmal klar, dass Chopins Klaviermusik hohe Klangdifferenzierungskunst, rhythmische Elastizität u n d genaue polyphonische Durcharbeitung verlangt. Hier gab es bei den jungen Pianisten nicht sehr viele, die alle diese Kriterien durchgehend überzeugend erfüllten.

Bereits beim Pflichtstück, dem Nocturne cis-moll op. post., waren deutliche Qualitätsunterschiede zu vernehmen. Der Französin Hélène Tysman gelang eine höchst sensible Interpretation mit den besonderen Delikatessen der vier Schlussfigurationen. Auch Nadja Sorkina (Ukraine) und Gajane Saakjana (Lettland) brachten interessante Darstellungen mit besonders fein verhauchendem ppp, während andere Pianisten mit Klang und Phrasierung ihre Mühe hatten. Mazurken, die immer ein ganz besonderer Prüfstein für das ureigene „Chopin-Gefühl“ sind, wurden bereits in der 1. Runde verlangt. Hier konnten Francesca Hun-Jae Kim (Südkorea) mit feinem Klang und sensibler Linienführung und wieder Hélène Tysman mit wunderbarer Elastizität und sehr genauer Artikulation punkten.

Die 17-jährige Misuzu Kikuchi (Japan) ließ in der „Schwarze-Tasten-Etüde“ Ges-Dur op. 10/5 durch imponierende Fingerfertigkeit und Brillanz und bei den Ecossaisen durch Gewandtheit aufhorchen, während Inoue Maki (Japan) die Ecossaisen geschmackvoll und die Tarantella op. 43 mühelos und imponierend klar bei sehr raschem Tempo bewältigte.
Aiko Yajima (Japan) überzeugte durchweg durch ihre Solidität und pianistisch ehrliches und klares Spiel, ließ aber klangliche Raffinesse vermissen. Bartlomiej Melges (Polen) zeigte eine gute Identität mit der Klangwelt Chopins, seine Finger vermochten aber seiner Tempovorstellung nicht immer zu folgen.

Von den 20 angetretenen Pianisten erreichten 15 die 2. Etappe, die sich bereits eines lebhaften Zuhörerinteresses erfreuen konnte.

In der 2. Etappe baute Hélène Tysman den positiven Eindruck der 1. Etappe noch weiter aus: Ihre klanglich vielfältige Polonaise d-moll, edel und intelligent phrasiert und mit großer innerer Ruhe vorgetragen, war ebenso Balsam für die Ohren der Zuhörer wie ihre beiden Walzer. Völlige Bewunderung erreichte sie jedoch mit ihrer an Dramatik und Kontrasten reichen Darstellung der Sonate b-moll op. 35. Unvergesslich dicht und magisch die Übergänge vom Trauermarsch zum lyrischen Mittelteil und wieder zurück zum Trauermarsch. Der letzte Satz klang bei null Pedal äußerst rätselhaft und beklemmend. Gajane Saakjana (Lettland) bewies in der Polonaise d-moll mit großer Linie ihre pianistische Klasse; sie interpretierte auch eine starke h-moll-Sonate op. 58 mit gut gehörten Mittelstimmen im 1. Satz.
Misuzu Kikuchi (Japan) spielte eine respektable Polonaise; in der b-moll-Sonate überzeugte sie mit gutem Gesamtklang und passender Tempowahl.
Das Scherzo cis-moll op. 39 war bei Katarzyna Malinowska (Polen) in besten Händen; sie beeindruckte durch kluge Dramaturgie mit spannenden Stimmungswechseln und gutem und sicherem pianistischem Zugriff.

Bereits in der 2. Etappe war ein (durch Los bestimmter) Satz des gewählten Klavierkonzerts mit 2. Klavier (Laura Sobolewska oder Jacek Lukaszczyk) vorzutragen. Hier gefiel Francesca Hun-Jae Kim im 2. Satz des Konzertes e-moll op. 11 durch feines ästhetisches Spiel; Misuzu Kikuchi spielte den 1. Satz desselben Werkes sehr sicher, die Kantilenen klangen manchmal zu nüchtern. Sehr klar und schön gelang der 2. Satz des Konzerts e-moll bei Gajane Saakjana. Bei Nadja Sorkina beeindruckten im 1. Satz des Konzerts e-moll ihre Geläufigkeit; ihr intensives Gefühl für die Musik steigerte sich in der Reprise bis zu einem Temperamentsüberschuss. Katarzyna Malinowskas Spiel wirkte durch seine hervorragend herausgearbeiteten Kontraste zwischen dem 1. und dem 2. Thema mitreißend. Auch Hélène Tysman war in einem Satz des Konzertes f-moll op. 21 wieder auf der erfreulichen Seite. Auch einige nicht namentlich genannte Spieler zeigten immer wieder einzelne erstaunliche Leistungen.

In die Finalrunde zogen sechs Pianistinnen ein:
Misuzu Kikuchi, Francesca Hun-Jae Kim, Katarzyna Malinowska, Gajane Saakjana, Hélène Tysman und Aiko Yajima.

Vier hatten das e-moll-Konzert und zwei das f-moll-Konzert gewählt. Sie wurden von der Russischen Kammerphilharmonie St. Petersburg, Frankfurt am Main, unter der Leitung von Jury Gilbo aufmerksam und sehr unterstützend begleitet. Bei allen Finalistinnen zeigten sich nun mehr oder weniger starke Nervosität und auch einige Ermüdungserscheinungen, doch waren bei ihrem durchaus persönlichen Stil immer wieder bewundernswert schöne Episoden und Momente zu bewundern.

In die Schlussbewertung flossen die Jury-Bewertungen sämtlicher drei Runden ein.
Die Ergebnisse :
.....1. Preis und Preis für die beste Polonaise: Hélène Tysman (Frankreich)
.....2. Preis: Aiko Yajima (Japan)
.....3. Preis und Publikumspreis: Gajane Saakjana (Lettland)
.....4. Preis: Katarzyna Malinowska (Polen)
.....5. Preis: Misuzu Kikuchi (Japan)
.....6. Preis: Francesca Hun-Jae Kim (Südkorea).

Mit einem glanzvollen Preisträgerkonzert in der voll besetzten Darmstädter Orangerie ging der VIII. Internationale Chopin-Klavierwettbewerb am 25 Oktober zu Ende. Mit einer hinreißenden Interpretation der Sonate b-moll op. 35 faszinierte die Gewinnerin des 1. Preises, Héléne Tysman, die Zuhörer, aber auch die anderen Preisträgerinnen bestätigten durch Brillanz und Ausdrucksstärke ihres Spiels noch einmal das beachtliche Niveau des diesjährigen Chopin-Klavierwettbewerbs.


Sontraud Speidel

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