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19.04.2008 KLAVIERABEND –LORENE DE RATULD
 

Darmstädter Echo vom 21.04.2008:

Ein Abend in c-Moll

Klaviermusik: Lorène de Ratuld als Gast der Chopin-Gesellschaft in Darmstadt

DARMSTADT. In „Ondine“, dem ersten Teil von Ravels Suite „Gaspard de la Nuit“, erlebte das Publikum die französische Pianistin Lorène de Ratuld auf der Höhe ihres Könnens. Mit dichter Konzentration schaufelte sie die wasserspielartigen Akkordkaskaden um und fügte sie zu einem einzigartigen Klanggemälde zusammen. Mit gebotener Eiseskälte führte sie in „Le Gibet“ das Wesen des „Galgens“ vor, und der Hörer sah imaginär das Wesen daran baumeln. Dynamisch fesselnd hielt die Künstlerin die Spannung in dieser kreisenden Atmosphäre der Monotonie. Auch das „Scarbo“ getitelte Finale geriet der jungen Frau außergewöhnlich. Virtuosität paarte sich hier ohne Härte mit eruptiver Dynamik. Als Sahnehäubchen packte sie als Zugabe „Claire de Lune“ von Debussy oben drauf.

Wir sitzen im vierten Klavierabend der Chopin-Gesellschaft Darmstadt aus der Reihe „Junge Meisterpianisten im Kennedy-Haus“. Leider ist der Raum beengt, die Akustik topfig-dumpf, dafür drängelt sich das fachkundige Publikum. Am 17. Mai wird an gleichem Ort noch Pervez Mody aus Indien, am 7. Juni Martin Kasik aus Tschechien zu hören sein.

Ratuld, die in Paris einen guten Ruf genießt und dort am Konservatorium ihre Studien absolvierte, wurde 2003 als Preisträgerin beim Seiler-Klavierwettbewerb ausgezeichnet; 2005 errang sie den Ravel-Preis. Im ersten Teil ihres Programms zollte die Künstlerin der deutschen Klaviermusikliteratur ihre Ehre. Bei den Wiener Klassikern überzeugte sie allerdings nicht so restlos wie bei den französischen Impressionisten. Mit Carl Philipp Emanuel Bachs Sonate in Es machte sie einen gelungenen Anfang und spürte hier vor allem der Intimität dieser Musik nach. Sie dosierte fein das Pedal und leitete den Zuhörer zu den musikalischen Schwerpunkten. Elegisch formte sie den langsamen Satz, atmete hörbar tief dazu, so dass ihr Ringen um Echtheit und tiefen Ausdruck anrührend gelang. Etwas flatterig ihre Version von Mozarts c-Moll-Fantasie. So klang Ratulds Anschlag nicht kernig genug; auch die Tempogestaltung, insbesondere bei musikalischen Charakterwechseln, war geschmacklich streitbar.

Eine reife Leistung lieferte Ratuld mit Beethovens „Pathetique“ ab. Die Sonate stand ebenfalls wie die meisten der an diesem Abend erklungenen Werke in der düsteren Tonart c-Moll, wie der Präsident der Chopin-Gesellschaft, Maciej Lukaszczyk, in seinen Begrüßungsworten sagte. Technisch war die Künstlerin dem Werk Beethovens allemal gewachsen, nur mental hatte sie vielleicht nicht genügend Strenge oder Selbstdisziplin. Sehr berührend hingegen mutete ihr Spiel von Chopins Nocturne c-Moll op. 48 Nr. 1 an, in das sie Emotion, Klugheit und hohe Sensibilität gleichermaßen hineinlegte.

Manuel Stangorra
21.4.2008

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