Sie sind hier: Kritiken  

18.10.2009 PREISTRÄGERKONZERT ZUM WETTBEWERB 2009
 

Darmstädter Echo vom 20.10.2009:

Chopin umspannt die Welt
Wettbewerb: Beim Preisträgerkonzert in der Orangerie spielen Pianisten aus vielen Ländern ihre Interpretationen

DARMSTADT. Um Frederic Chopin scheinen die deutschen Nachwuchspianisten einen großen Bogen zu machen. Dieser Eindruck entstand bei einem Blick auf die Teilnehmerliste des neunten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerbs in Darmstadt. Nur vier der 62 Bewerber aus 20 Nationen kamen aus Deutschland. Beim Abschlusskonzert am Sonntagabend in der Orangerie spielten unter anderem junge Pianisten aus Polen (Ränge fünf bis sieben der Preisträger) und Asien (Plätze eins bis vier). Mit Chopin-Werken stellten sie sich in drei Etappen einer siebenköpfigen Jury unter Leitung von Maciej Lukaszczyk.

Die finale Rankingliste sagt indes nichts aus über Einmütigkeit oder möglichen Dissens beim Urteil der Juroren, und die sechs beim Abschlusskonzert beteiligten Preisträger zeigten allesamt hervorragende, in der künstlerischen Qualität gleichwertige Leistungen. So hätte die klangmächtige fis-Moll-Polonaise op. 44, kraftvoll und mit fulminantem Tastendonner von Pawel Wakarecy (7. Finalist) vorgetragen, durchaus den Sonderpreis für die beste Polonaisen-Interpretation verdient, den schließlich die Preisträgerin Claire Huangci (USA) erhielt: Leuchtend wie in hellem Sonnenlicht, mit selten zu hörender Transparenz, trug sie die beliebte As-Dur-Polonaise op. 53 vor. Mühelos bei den gefürchteten Linke-Hand-Oktaven des Mittelteils, fand sie inmitten des Tasten-Tumultes Muße zum Innehalten und zu klug kalkulierten Streicheleinheiten. Dass ihr Preisgeld, 10 000 Euro, gestiftet von der Stadt Darmstadt, bei Claire Huangci in den richtigen Händen ist, belegte ihre sorgsame Gestaltung der b-Moll-Sonate op. 35: Im Kopfsatz entfachte die Pianistin ein schier unglaubliches klangliches Feuer, und auch im Scherzo ließ sie mit knalligen Repetitionen die Funken stieben. Der mit zügigem Tempo angegangene und damit von jeglicher Larmoyanz befreite Trauermarsch war mit seinen traumhaft schönen Episoden mehr als nur ein Durchatmen vor den tückischen Unisono-Attacken des Finales, das in geheimnisvollem Pianissimo als gespenstische Hochgeschwindigkeitsstudie vorüber huschte.

Mit einem hohen Grad an Musikalität und der nötigen technischen Souveränität kam Michal Kozlowski (sechster Preis) mit dem cis-Moll-Scherzo op. 39 einem authentischen „Chopin-Stil“, ausgewogen in der Balance zwischen dramatischen und lyrischen Passagen, merklich nahe. Empfindsam gestaltend, gleichwohl brillant in den gemeißelten Doppeloktaven des Schlussteils.

Blendende Virtuosität zeigte auch Jacek Kortus (fünfter Preis) im Perpetuum-Mobile-Charakter der cis-Moll-Etüde op. 10 Nr. 4. Wohltuend nach solch pianistischen Stürmen waren die stille Klangpoesie und der tänzerische Charme bei drei Mazurken aus Opus 24, von der Taiwanesin Tzu-Yi Chen (vierter Preis) vorgestellt – freilich in den Ausdrucksnuancen etwas distanziert und neutral.

Grandios schließlich der Beitrag der erst knapp 16 Jahre alten Chinesin Jingdan Gu (zweiter Preis): Mit körperbetonter, ansteckender Spielfreude stürzte sie sich in die diskant-hellen, perlenden Skalen und in die Akkord-Wucht des b-Moll-Scherzos op. 31. Die Zuhörer waren fasziniert von den jungen Künstlerpersönlichkeiten und honorierten die Darbietungen mit viel Applaus.

Albrecht Schmidt
20.10.2009

zurück