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17.07.2012 YURI BLINOV KINDERKONZERT
 

Darmstädter Echo vom 21.07.2012:
Von Julia Reichelt

Mit dem Flügel ins Märchenreich

Gesprächskonzert – Chopin-Gesellschaft bietet „Tastenspiel“ für Kinder im Darmstädter Kennedyhaus

DARMSTADT: Die Konzertbesucher der Chopin-Gesellschaft sind normalerweise zwischen 60 und 70 Jahren alt, erzählt Jill Rabenau aus dem Vorstand. Das soll anders werden. Für zwei Kinderkonzerte hat sie den russischen Künstler Yuri
Blinov eingeladen, um auch Kinder für klassische Klaviermusik zu begeistern. Neun kurze und kindgerechte Stücke hat Blinov für sein Konzert „Tastenspiel“ am Donnerstag im Kennedyhaus ausgewählt, um Kinder zwischen sechs und elf Jahren zu erreichen.
Dramaturgisch geschickt beginnt der Nachmittag erst ganz ruhig mit dem „Märchen der alten Oma“ von Sergej Prokofiew. Behäbig und betagt scheint sie am warmen Ofen zu liegen. So gemächlich und melancholisch wirkt das kurze Stück. Dass Geschichten nicht nur mit Sprache, sondern auch musikalisch erzählt werden können, zeigt das knapp einstündige Konzert. Den Kindern gefallen die Musikbeispiele aus der Märchenwelt. Sie sitzen im Foyer des Kennedyhauses vor dem Steinway-Flügel und hören gespannt zu.
Das „Däumelinchen“ des zeitgenössischen russischen Komponisten Sergej Slominski ist für junge Klavierschüler geschrieben und klingt schon dynamischer und lustiger. Beim „Marsch der Gnome“ von Edvard Grieg sieht man förmlich, wie die Zwerge im dunklen Wald tanzen. Musik und Rhythmus steigern sich, am Schluss haut Blinov richtiggehend in die Tasten und zeigt den Kindern, wie laut ein Klavier sein kann.
Leider spricht er kein Deutsch, sodass ein Moderator nötig ist. Der Kinderarzt Christoph Heil versucht, die Kinder einzubinden. Ob sie denn wissen, wie beim Klavier der Ton entsteht? Und wer von ihnen ein Instrument oder gar Klavier spielt? Die meisten der jungen Zuhörer heben daraufhin den Arm. Auf seine Frage, wer denn Knecht Ruprecht sei, sieht er allerdings nur fragende Gesichter. Kurz darauf können die Kinder im gleichnamigen Stück von Robert Schumann erleben, was es mit diesem finsteren Kerl auf sich hat.
Den vibrierenden „Tanz des Puck“ von Claude Debussy spielt Yuris Frau Nastasia Blinov. Ihr Spiel illustriert, wie unterschiedlich der Klang eines Klaviers sein kann: von klirrend hell bis dunkel grollend. Getragen und lyrisch kommt der traditionelle Tanz „Pavane für Dornröschen“ von Maurice Ravel daher – die Hofgesellschaft scheint tanzend vor einem zu stehen.
Die größte Überraschung kommt allerdings am Schluss, als Blinov eine Eigenkomposition spielt: die Schach-Suite. Geschrieben hat er sie, als er zwölf Jahre alt war. Vom Schachspielen begeistert, hat er den Figuren Bauer, Springer, König und Königin musikalisches Leben gegeben. Was zu hören ist, fasst zusammen, warum die Vorstellung so gelungen ist: Variantenreich, rhythmisch und figurativ ist das, was er nun spielt. Der Springer galoppiert dahin, der König scheint zwischen Stolz und Zittern zu schwanken, die Königin ist launisch, aber charmant. „Die Pferde habe ich richtig vor mir gesehen“, sagt ein Mädchen nach dem Konzert.
Vierzehn Kinder und mehr als doppelt so viele Erwachsene waren unter den Zuhörern. Wenn es nächstes Jahr mit den Kinderkonzerten weitergeht, ist es hoffentlich umgekehrt.

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