Darmstädter Echo vom 20.09.2011:
Kraftvoller Zugriff
Chopin-Gesellschaft: Joanna Domanska überzeugt als Szymanowski-Interpretin
DARMSTADT. Kurzfristige Programmänderungen können zu Enttäuschungen führen. So auch geschehen am Samstag im Darmstädter Kennedy-Haus beim Klavierabend der Chopin-Gesellschaft: Ein kleiner Handzettel weist darauf hin, dass Chopins zweite Klaviersonate sowie seine vier Mazurken op. 30 von der Pianistin Joanna Domanska gestrichen worden sind. Die Künstlerin hätte wegen eines Korea-Aufenthalts vorab nicht genug Zeit gehabt, sich auf die Werke in Ruhe vorzubereiten, erklärt Vereinsmitglied Irmgard Hörl. Die Beweggründe der polnischen Virtuosin mögen nachvollziehbar sein – nur ist ihr alternativ gebotenes Best-Of-Gemisch (Nocturne, Scherzi und Polonaise) des polnischen Komponisten kein gleichwertiger Ersatz, um den „Masques“ von Karol Symanowski, die in der ersten Konzerthälfte zu hören sind, die Stirn zu bieten. Denn Chopins Landsmann, dessen Hauptwerke in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstanden sind, sprüht vor Ideenreichtum. Das dreisätzige Werk bedient sich einer tonal erweiterten und hochexpressiven Tonsprache. Der erste Satz „Scheherazade“ arbeitet mit pochenden Motiven in der Bassstimme, der dissonante Akkorde entgegengesetzt werden. Joanna Domanska findet einen kraftvollen und voluminösen Zugriff, ohne die feinen melodischen Ansätze zu vernachlässigen. Mit grotesken Staccato-Schritten scheint „Tantris, der Narr“ regelrecht über die Tastatur zu stapfen. Auch „Don Juan“ kommt im dritten Satz nicht lieblich daher. Die Brutalität seines Treibens steht bei Szymanowski im Vordergrund, harte Ausbrüche erzeugen eine Spannung, die von der Pianistin hervorragend umgesetzt wird. Symanowskis vier Mazurken op. 50 beziehen sich, obwohl rund zehn Jahre später entstanden, unmissverständlich auf Chopins Werk, ohne in spätromantische Sentimentalität zu verfallen. Auch deshalb ist zu bedauern, dass dessen Mazurken op. 30 gestrichen wurden, um einen direkten Vergleich der polnischen Meister anstreben zu können. Domanska ist, was das Schaffen Szymanowskis betrifft, eine Koryphäe ihres Fachs. Konzentriert und frei von verspielter Virtuosität bietet sie eine differenzierte Interpretation der Werke beider Komponisten, mit der sie in Darmstadt beim Publikum punkten kann. Einzig die überschäumenden Gebärden der A-Dur Polonaise Chopins scheinen ihr nicht zu liegen, in diesem Stück gerät sie bei mancher Klangkaskade etwas ins Stocken.
Christian Chur 20. September 2011
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